Gasthaus zur goldenen Krone, Rodfuhrtafel, Museum “Grünes Haus”, Reutte (by kind permission of the museum)
Vom 16. bis 17. Oktober 2025 nahm das Team ALPINNKONNECT am Internationalen Workshop „Gasthäuser und Gastwirt:innen: Eine Langzeitperspektive“ im Touriseum Trauttmansdorff in Meran teil. Die Veranstaltung wurde in Kooperation zwischen Siglinde Clementi vom Zentrum für Regionalgeschichte (https://www.regionalgeschichte.it/de) , Margareth Lanzinger, Principal Investigator des ERC Advanced Grant „Agents of Logistics and Infrastructure in Eighteenth Century Alpine Transit Traffic“ – ALPINNKONNECT (https://alpinnkonnect.univie.ac.at/) am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, sowie dem Touriseum Trauttmansdorff (https://www.trauttmansdorff.it/Touriseum/) organisiert.
Im Rahmen des Workshops stellte das Forschungsteam in vier Fachvorträgen die zentralen Forschungsschwerpunkte des Projekts sowie erste wissenschaftliche Ergebnisse vor und beteiligte sich aktiv am internationalen wissenschaftlichen Austausch.
English Version
From the 16th to the 17th October 2025 the Team ALPINNKONNECT attended the International Workshop Inns and Innkeepers: A Long-Term Perspective at the Touriseum Trauttmansdorff in Meran. The workshop was a collaboration between Siglinde Clementi, Centre for Regional History (https://www.regionalgeschichte.it/de) and Margareth Lanzinger, PI of the ERC Advanced Grant ‘Agents of Logistics and Infrastructure in Eighteenth Century Alpine Transit Traffic’ – ALPINNKONNECT (https://alpinnkonnect.univie.ac.at/), Department of Economic and Social History, University of Vienna, and Touriseum Trauttmansdorff (https://www.trauttmansdorff.it/Touriseum/).
In four different lectures the Team presented their main fokus in the project as well as first results.
Pluriaktive Wirtsfamilien und multifunktionale Wirtshäuser im transalpinen Transitverkehr | Famiglie ospitanti pluriattive e locande multifunzionali nel traffico di transito transalpino
Der Vortrag gibt zum Einstieg in das Panel Einblick in die Ziele und in einige wesentliche Aspekte des ERC AdG ALPINNKONNECT, um die weiteren Beiträge inhaltlich einzubetten und Querbezüge sichtbar zu machen. Im Zentrum stehen jene Akteur:innen, die dafür gesorgt haben, dass der ökonomisch – für die Territorialherren ebenso wir für die lokale Bevölkerung – eminent wichtige Warentransitverkehr durch Tirol (vornehmlich über die Brennerstrecke mit den Querverbindungen durch das Pustertal und den Vinschgau) und über ausgewählte Übergänge in der Schweiz laufen konnte. Die Routen standen zum Teil in Konkurrenz zueinander, zugleich und mehr jedoch in einem komplementären und ‚arbeitsteiligen‘ Verhältnis, jedenfalls in Beziehung zueinander. Die vielfältigen Unterschiede – in territorialpolitischer, administrativer, organisatorischer und naturräumlicher Hinsicht – sind hilfreich, um die jeweiligen Situationen und Zusammenhänge klarer profilieren zu können. Das ‚große‘ Ziel dahinter ist, herauszustellen, dass der Transport über Land und Berge, Flüsse und Seen als ein integrativer Teil des transatlantischen Handels zu sehen ist.
Schwerpunkte des Interesses liegen damit auf Fragen, wie der Transport organisiert war – mit Pferden, Maultieren, Rindern, Fuhrwerken, Schlitten – und wie er tagtäglich, Sommer wie Winter, ablief; inwieweit translokale Organisationsformen in Genossenschaften mit Langstreckentransporten und Speditionen in Konkurrenz gerieten; inwiefern sich das im deutschen Südwesten übliche System der Güterbestätter unterschied; wer für die Instandhaltung der Straßen, Wege und Brücken zuständig war und mit welchen Schwierigkeiten diese Akteure konfrontiert waren. Nicht zuletzt geht es zentral darum, welche Bedeutung Gasthäusern und Gastwirt:innen im Transitverkehr zukam. Wir gehen davon aus, dass sie sehr wichtig waren: Gasthäuser als multifunktionale Hubs, als Drehscheiben, die Essen, Trinken und Übernachtungsmöglichkeiten, Futter und Ställe für die Tiere, Unterstände für Fuhrwerke und anderes mehr bereitgestellt haben; Gastwirt:innen als eine besonders spannende professionelle Gruppe, die durch Pluriaktivität, professionelle Endogamie sowie durch Ämter und Funktionen hervortritt und translokal breit vernetzt war. Dem systematisch nachzugehen, ist ein Ziel des Projekts. Erste Einblicke gibt dieser und geben dann auch die nachfolgenden Vorträge.
Von Gasthaus zu Gasthaus. Straßeninfrastrukturen im Transalpenverkehr des 18. Jahrhunderts |Da locanda a locanda. Le infrastrutture stradali nel trasporto transalpino del XVIII secolo
Ein wesentlicher Kontext der Gasthäuser im Transalpenverkehr waren die Straßen, welche die Gasthäuser miteinander verbunden haben und über die Pferde liefen und Wagen fuhren. Straßen als nutzbare Verkehrsflächen und grundlegende Infrastruktur waren nicht einfach vorhanden, sondern mussten erbaut und unterhalten werden. Daher stellt sich die Frage, wie unter frühneuzeitlichen Bedingungen diese für den Handelsverkehr grundlegende Infrastruktur aufrechterhalten werden konnte. Gerade im Alpenraum mit seiner Gebirgstopographie war dies mit besonderem Aufwand verbunden. Zugleich waren die Straßen ein Eingriff in die alpine Landschaft. Häufig wird unterstellt, dass der Unterhalt von Straßen in der vorindustriellen Zeit eher nachlässig betrieben worden sei und erhebliche Qualitätsmängel die Verkehrsbedingungen prägten. Eine Sichtung der Akten des 18. Jahrhunderts ergibt für Tirol ein etwas anderes Bild. Zumindest zum Unterhalt der Hauptverkehrsstraßen für den Güterverkehr durch die Alpen liegen umfangreiche Unterlagen vor, die zeigen, dass sich verschiedene Ebenen der Verwaltung mit dem Unterhalt der Straßen und dessen Finanzierung ausführlich befasst haben. Insbesondere Hochwasser, Steinschlag und Muren führten immer wieder zu Zerstörungen der Verkehrswege, die jedoch möglichst schnell wieder in einen benutzbaren Zustand versetzt wurden. Neben dem Straßenbau selbst waren Schutzmauern, Brücken und Einschnitte, aber auch die Einrichtung von Depots für Materialien und Werkzeuge Elemente dieser Infrastruktur.
Die Straßen waren nicht einfach begeh- oder befahrbare Flächen, sondern bildeten mit den Fahrzeugen und den Zugtieren ein komplexes System. Um den Verschleiß der Straßen zu reduzieren, sollten die Frachtwagen eine einheitliche Spurweite einhalten. Zudem sollten sie ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten, wobei entsprechenden Strafregistern zufolge ein notorisches Problem mit Überlasten bestand. Die Zugtiere sollten in einer Doppelspur mit Mitteldeichsel laufen, im Interesse eines geringeren Verschleißes wurde sogar die Forderung erhoben, einspännige einachsige Wagen zu verbieten, da das in Mitte der Spur laufende Pferd die Straße ruinieren würde. Die Menge der Zugtiere hing von der Topographie ab, je nach Steigung war der Vorspann von weiteren Pferden notwendig. Die Regulierung des Vorspanns war um 1770 Gegenstand umfangreicher Verwaltungsakten. Im 18. Jahrhundert lässt sich eine zunehmende Aufmerksamkeit der Obrigkeiten für die Straßeninfrastruktur beobachten, um diese zu erhalten und zu verbessern.
Heiratsbeziehungen und Netzwerke zwischen Südtiroler Gastwirts-Familien | Relazioni matrimoniali e reti tra famiglie di albergatori altoatesini
Im Rahmen des ERC-Projekts ALPINNKONNECT wird mit einem auf die beteiligten Akteur:innen gelegten Fokus die Organisation und Durchführung des transeuropäischen Warenverkehres über die Alpen im 18. Jahrhundert untersucht. Ausgehend von dem Konzept der socio-material-natural interconnectedness stehen dabei unter anderem die Wirtshäuser an den Transitrouten im Mittelpunkt. Für die Analyse sind sowohl sozial- und geschlechterge-schichtliche Perspektiven als auch die Frage der materiellen Ausstattung von Interesse.
Die an der Brennerroute gelegene Stadt Klausen stellt, bedingt durch ihre topografisch günstige Lage, ein wichtiges Bindeglied zwischen Nord und Süd. Gleichzeitig erfordert diese Position die Bereitstellung von Infrastruktur für Reisende, Fuhrleute, Händler:innen und Spediteure. Wirtsfamilien sind zentrale Akteure in diesem Zusammenhang. Auf Basis von Kirchenbüchern und Rechtsquellen – wie Heirats- und Verkaufskontrakte mit Inventaren – werden sowohl Familienkontinuitäten als auch lokale/regionale Vernetzungen zwischen Gastwirtsfamilien, beispielsweise der Familie Isser vom „Weißen Rösl“ oder der Familie Trinner vom Wirtshaus „Zur Gans“ rekonstruiert. Die hier vorzufindenden (Wieder-)Verheiratungen und (Ver-)Kaufstransaktionen zeigen die im Kontext von Eheschließungen spezifischen Gütertransfers, welche Aufschluss über die materiellen Charakteristika und die Ausgestaltung von Gasthäusern geben.
Für den an der Pustertaler Straße liegenden Markt Innichen verdeutlicht eine exemplarisch ausgewählte Generation der Betreiber:innen des Gasthauses „Zum Weißen Rössl“ die weitläufige Vernetzung der Gastwirtsfamilien primär anhand von Heiratsbeziehungen. Diese Art der Vernetzung lässt sich auch auf Trauzeugen und Taufpat:innen erweitern. Einen Einblick in das Zusammenwirken von Geschlecht und sozioökonomischem Status gewähren auch sogenannte Witwenverträge. Solche Verträge schlossen Gastwirtinnen ab, um ihren Lebensstandard nach der Übergabe des Wirtshauses an die nächste Generation abzusichern. Dies steht in Zusammenhang mit der vorherrschenden Gütertrennung und der gängigen Praxis von Frauen, das eigene Vermögen auf dem ehemals ehemännlichen Besitz gegen Verzinsung und Versorgung liegen zu lassen. Denn das Vermögen wurde von beiden Seiten an die Kinder vererbt – und nicht an die zurückbleibenden Ehepartner:innen transferiert. Unter Einbeziehung des Ehe- und Erbrechts sowie der lokalen Praxis gewährt dieser Quellentypus einen Einblick in die Handlungsräume konkreter Akteurinnen entlang von Geschlecht und Kapital, das sowohl materiell als auch sozial verstanden werden kann.
Verpflegen, verstauen, verkaufen: Die Rolle der Gasthäuser in den Drei Bünden im translokalen Austausch | Cibare, custodire, commerciare: il ruolo delle locande nelle Tre Leghe negli scambi translocali
Vom Spätmittelalter bis in die Frühphase der Entstehung des schweizerischen Bundesstaates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielten die sogenannten Porten eine zentrale Rolle beim Gütertransport im Gebiet des heutigen Kantons Graubünden. Diese transregional organisierten Korporationen verpflichteten zur Ablage der Waren an vorgegebenen Stationen sowie zum Weitertransport durch ihre Mitglieder – oder andernfalls zur Entrichtung eines Weggeldes. Im Gegenzug waren die Porten für den Unterhalt der Straßen verantwortlich, mussten die Passierbarkeit der Alpenpässe gewährleisten und verfügten über gerichtliche Kompetenzen bei Konflikten, sofern sie nicht selbst zur Rechenschaft gezogen wurden.
Gasthäuser nahmen innerhalb dieses Geflechts separater Rechtsräume ein breites Spektrum an Funktionen ein. Während sie in einigen Talschaften in der Haltung von Lasttieren oder im Anbieten von Lagerraum explizit eingeschränkt wurden, bildeten Hospize und Wirtshäuser in anderen Tälern zentrale Elemente der Infrastruktur des Alpentransits. Dieser Vortrag setzt sich mit dieser Varianz in kleinem Raum auseinander, indem die Spezifika von drei Gasthäusern an unterschiedlichen Transitrouten untersucht werden: das Bodenhaus sowie das Weiss Kreuz in Splügen und die Osteria in Tirano.
Am Fuße des Splügenpasses gelegen, war das Dorf Splügen geprägt vom Transportgewerbe. Davon zeugen auch in den beiden Säumerherbergen «Weiss Kreuz» und «Bodenhaus», die auf den Handel über den Pass ausgerichtet waren: Sie boten Stallungen für die Saumtiere und Lagerstätten für das Handelsgut. Gleichzeitig dienten sie den Säumern als Herberge.
Im Fall der Osteria in Tirano stand weniger der transalpine Warentransport im Vordergrund, sondern vielmehr der lokale Verkauf. Einerseits eröffnete die Osteria weiten Teilen der Bevölkerung Zugang zu Gütern, darunter auch zu Gewürzen aus interkontinentalen Handelsketten. Andererseits waren die Austauschbeziehungen der Osteria dezidiert auf lokal operierende Akteur*innen beschränkt, wodurch sie sich deutlich von anderen Verkaufskanälen vor Ort unterschied.
Durch den Vergleich unterschiedlicher Gasthäuser in den Drei Bünden soll nicht nur die Vielfalt der Funktionen herausgearbeitet werden, die solche Etablissements im translokalen Austausch erfüllten. Es soll zugleich gezeigt werden, wie diese Funktionen durch die jeweilige Einbettung in die lokale Handelslandschaft geformt wurden.
